Abba Naor

(geboren am 21. März 1928 in Kaunas)
Häftlingsnummer: 91898

Wir kamen nach Utting, es war ja gar nix dort. Es war ein Waldstück, wir mussten unser Lager selber bauen. Diese so bekannten Erdhütten, den Zaun mussten wir bauen, also dass wir nicht weglaufen. Und dann mussten wir auch eine Fabrik bauen für die Firma Dykerhoff, die Betonplatten produziert haben.

– Abba Naor über seine Ankunft in Lager Kaufering X

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Abba Naor bei einem Besuch der KZ-Gedenkstätte Dachau im Jahr 2017. Quelle: Stiftung Bayerische Gedenkstätten

Abba Naor wurde am 21. März 1928 als Abke Nauchowicz in Kaunas, Litauen, geboren. Die jüdische Familie lebte traditionell, wenn auch nicht sehr religiös. 1941 wurden die rund 30.000 Juden in Kaunas aufgefordert, in das neu errichtete Ghetto Kauen zu ziehen. Die Lebensbedingungen waren schlecht, und als Naors älterer Bruder Chaim erwischt wurde, als er außerhalb des Ghettos Brot für die Familie kaufen wollte, wurde der gerade mal 14 Jahre alte Chaim zusammen mit 25 anderen Jugendlichen im Fort IX von der SS erschossen.

Am 28. Oktober 1941 räumten die Nationalsozialisten Teile des Ghettos. Sieben Verwandte, darunter auch Naors Großvater, wurden dabei selektiert und am nächsten Tag im Fort IX getötet. Naor verdiente sich etwas Geld in einer illegalen Bäckerei im Ghetto. Im Juni 1942 fanden die ersten Konzerte im Ghetto statt, bei denen Naor bald mitsang.

Zeitzeuge Abba Naor über seine Zeit im KZ-Außenlagerkomplex Landsberg/Kaufering. Quelle: KZ-Gedenkstätte Dachau

1943 wurde Abba Naor Läufer der Ghettopolizei. Dadurch erhielt er wertvolle Informationen über geplante Selektionen und konnte einige Freunde und Verwandte warnen. Sein Vater schloss sich derweil der kommunistischen Untergrundbewegung an.

Am 15. September 1943 wurde das Ghetto zu einem Konzentrationslager. Im März 1944 rettete Naor seinen kleinen Bruder vor der „Kinderaktion“ der SS. Nur vier Monate später wurde das ehemalige Ghetto evakuiert.

Auf Frachtbooten wurden Naor und seine Familie acht Tage lang nach Danzig transportiert. Dort angekommen, mussten die Menschen zum KZ Stutthof marschieren; Frauen und Männer wurden voneinander getrennt. Am 26. Juli deportierte man Naors Mutter und seinen fünf Jahre alten Bruder nach Auschwitz, wo sie vergast wurden.

Der Ablauf im Lager Utting war so wie überall, die Schikanierung, das war an Tagesordnung. Die Appell frühmorgens und abends mit die Schikanierungen, mit Mützen ab und Mützen auf, das war Gang und Gäbe im Lager. 

– Abba Naor über den Alltag im Lager Kaufering X

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Naor wurde im August 1944 in das KZ-Außenlager Kaufering X bei Utting gebracht, sein Vater war bereits früher in den KZ-Außenlagerkomplex Landsberg/Kaufering überstellt worden. Um ihn zu suchen, meldete sich Naor freiwillig für einen Transport ins Lager Kaufering I.

Der Hunger war immer da, die Läuse waren immer da. Die Möglichkeiten, hygienischen Möglichkeiten war fast nicht vorhanden. Man musste schwer arbeiten, 12 Stunden am Tag mit spärlicher Verpflegung. Aber man hat gelernt zu organisieren, man hat gelernt zu aufpassen, vor allem in Utting. 

– Abba Naor über die Lebensbedingungen im KZ-Außenlagerkomplex

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Auf der Flucht vor den US-amerikanischen Truppen wurden die Gefangenen Ende April 1945 auf einen Todesmarsch zum KZ Dachau und weiter in Richtung Süden geschickt. Bei Waakirchen floh die SS am 2. Mai und ließ die KZ-Häftlinge zurück. Naor, der die Gelegenheit zur eigenen Flucht nutzte, traf am selben Tag auf US-amerikanische Soldaten.

Naor lebt heute in Israel und kommt seit vielen Jahren regelmäßig für Zeitzeugengespräche in Schulklassen nach Deutschland. 2018 erhielt er für seine Erinnerungsarbeit den Bayerischen Verdienstorden.